Gelebte Proportionalität – oder etwa nicht?
Seit gut drei Jahren existiert es in Deutschland: das Wertpapierinstitutsgesetz (WpIG). Urs Lendermann, Professor für Bankenrecht an der Hochschule der Bundesbank in Hachenburg, hat zusammen mit seinem Kollegen Ulrich Schroeter von der Universität Basel und Heinrich Nemeczek dazu einen mehr als 1.500 Seiten starken Kommentar zum WpIG herausgebracht. Und nun haben sie gemeinsam eine Fachtagung auf die Beine gestellt, in der auf die Regulierung von Wertpapierfirmen zurück- und vorausgeblickt wurde.
Florian Toncar, Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, beklagte dort, dass die Vertiefung der Kapitalmarktunion leider bisher nicht mit der nötigen Geschwindigkeit vorangehe. Für die Transformation der Wirtschaft sind aber erhebliche Investitionen erforderlich. Hier kann die Kapitalmarktunion einen wertvollen Beitrag leisten – und auch Wertpapierfirmen werden hier wichtiger
, betonte der Staatssekretär in seiner Video-Ansprache. Für Toncar spielt in diesem Zusammenhang auch der Bürokratieabbau eine wesentliche Rolle. Er fühlte sich hier in seiner Einschätzung durch den jüngsten Draghi-Bericht im Auftrag der EU-Kommission bestätigt.
Systemrelevante Wertpapierfirmen, die wichtige Leistungen für Großkunden und Leistungen des Investmentbankings anbieten (das heißt für eigene Rechnung mit Finanzinstrumenten handeln oder Finanzinstrumente emittieren oder Finanzinstrumente mit fester Übernahmeverpflichtung platzieren), und deren Gesamtwert der konsolidierten Bilanzsumme des Unternehmens mindestens 30 Milliarden Euro beträgt, erhalten den Status von Kreditinstituten – und werden somit in der Regel direkt von der EZB beaufsichtigt. Mit Eleni Koupepidou, Abteilungsleiterin für Bankenaufsichtsrecht in der EZB, konnte hierzu eine versierte Referentin gewonnen werden.
Expertenwissen gebündelt
In Deutschland gibt es mehr als 700 Wertpapierinstitute, die gemeinsam von Bundesbank und BaFin überwacht werden. Karlheinz Walch, Leiter des Zentralbereichs Banken und Finanzaufsicht, erklärte, wie die Regulierung hierzulande in der Praxis umgesetzt wird. Er betonte dabei insbesondere die Rolle der Institutsbetreuenden in den Regionalbereichen, die unter anderem Meldungen prüfen, Prüfungsberichte auswerten und Aufsichtsgespräch führen würden. Wir haben das Expertenwissen bei der Aufsicht über Wertpapierfirmen in drei HV-Standorten, nämlich in Düsseldorf, Frankfurt und München, gebündelt, was sicher der Qualität der Aufsicht zugutekommt und sicher auch Effizienzvorteile bietet
, sagte der Zentralbereichsleiter.
MEL soll es besser machen
Generell will Walch die Aufsicht adressengerecht gestalten: MEL heißt hierfür das Schlagwort, es steht für Minimum Engagement Level. Wir versuchen hier zu klären, wie oft wir mit den Wertpapierfirmen in den direkten Dialog treten werden.
Umgekehrt formulierte Walch klare Erwartungen an die Wertpapierinstitute: Die Meldungen müssen fristgerecht geliefert werden. Da kennen wir kein Pardon.
Umgekehrt setzt er sich auch dafür ein, bei der Anpassung der regulatorischen Vorgaben bis 2026 „sich nur auf das Nötigste" zu begrenzen: Die Regeln bestehen ja erst seit 2021, wir sollten sie erstmal richtig wirken lassen.
Doch nicht nur die Aufseher, sondern auch die beaufsichtigten Wertpapierhäuser kamen zu Wort. Da die Wertpapierfirmen sich mit Blick auf die Betriebsgröße und Geschäftsmodelle stark unterscheiden, werden sie im WpIG auch in drei Größenklassen (groß, mittel, klein) unterteilt, die mit unterschiedlicher Intensität überwacht werden. Matthias Lahninger, Vertreter einer Wertpapierfirma mittlerer Größe, zeigte sich mit den seit 2021 geltenden Vorgaben weitgehend zufrieden.
„Im Zweifel für die schärfere Variante“
Nero Knapp, Justiziar im Verband unabhängiger Vermögensverwalter, der 300 der rund 600 kleinen Wertpapierfirmen hierzulande vertritt, kritisierte hingegen die regulatorischen Vorgaben: Die Vorschriften sind mittlerweile unlesbar geworden, sprich unverständlich für viele kleinere, inhabergeführte Wertpapierfirmen.
Doch dabei beließ er seine Kritik nicht: Die Komplexität entsteht in der Regel vor Ort durch Anwendung der Aufsicht.
Es gelte der Grundsatz „in dubio pro duriore“, sprich im Zweifel für die schärfere Variante. Knapp forderte vielmehr in der Praxis eine „echt gelebte Proportionalität“. Andernfalls befürchtet er, dass viele kleinere inhabergeführte Vermögensverwalter vom Markt verschwinden werden: „Sie müssen mehr Spezialisten beschäftigen, um die aufsichtlichen Regeln zu durchdringen. Und diese haben wiederum keine Absicht, als Teilhaber in eine Firma einzusteigen.“ Den Vorwurf nicht gelebter Proportionalität ließ Karlheinz Walch für seine Institution nicht gelten: Wir in der Bundesbank haben uns die Proportionalität nicht nur auf die Fahnen geschrieben, sondern stehen auch für die Umsetzung dieses wichtigen Prinzips ein.“
Marc Peters von der Europäischen Kommission und Gijs van Luling von der niederländischen Nationalbank gingen auf die mögliche Revision der europäischen Regulierung für Wertpapierhäuser ein. Gemeinsam mit Peggy Steffen vom Deutschen Fondsverband BVI und Bart Joosen, Professor an der Universität Leiden und dem European University Institute, erörterten sie die ersten Rückmeldungen auf die Konsultation eines Diskussionspapiers, das die EBA und ESMA im Juni veröffentlicht hatten.
Moritz Renner, Professor an der Universität Mannheim diskutierte mit Alexander Sajnovits, Habilitand an der Universität Mainz, und Michael Sterzenbach vom Verband der Wertpapierinstitute darüber, ob die Regulierung von Wertpapierinstituten richtig eingeordnet ist. Schließlich hat die Aufsicht sowohl in der Bankenregulierung als auch in der Kapitalmarktregulierung ihre Wurzeln. Angesichts der Heterogenität der Wertpapierinstitute stellte Ulrich Schroeter die Frage, ob nicht am Ende eine rein nationale Regulierung für die kleineren Wertpapierfirmen ausreichend sei. Eine These, die vor dem Hintergrund des Europäischen Passes kontrovers diskutiert wurde.