Gruppenfoto mit Isabel Schnabel, Mitglied des Direktoriums der EZB, Dozenten und Studierende der Hochschule der Bundesbank ©Thorsten Schneider

„Werden alles tun, was in unseren Möglichkeiten liegt“

Es kann ein gutes Zeichen sein, wenn die Kurve in einem Koordinatensystem steil nach oben zeigt. Muss es aber nicht. Als Isabel Schnabel vergangene Woche in Schloss Hachenburg, dem Sitz der Hochschule der Deutschen Bundesbank, auf das Podium tritt, um vor den Studentinnen und Studenten über die Ursachen der Inflation im Euroraum zu sprechen und einen Ausblick auf die kommenden Monate und Jahre zu geben, hat sie zahlreiche Diagramme mitgebracht, die das eindrucksvoll belegen. Sie zeigen die Entwicklung von Inflationsraten, Rohstoffpreisen, Tariflöhnen. Es sind Grafiken dabei, die durchaus Anlass zur Sorge geben. Aber auch solche, die Hoffnung machen.


Isabel Schnabel, Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank bei ihrer Rede in Hachenburg ©Thorsten Schneider
„Dieses Thema treibt uns alle um. Es hat eine große gesellschaftspolitische Relevanz“, sagt Schnabel, die seit zwei Jahren dem Direktorium der Europäischen Zentralbank angehört. Im Juli erhöhten sich die Verbraucherpreise um 8,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. „Das sind Zahlen“, so Schnabel, „die unerträglich hoch sind. Noch vor wenigen Monaten hätten wir uns das gar nicht vorstellen können.“ Schnabel, die lange Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung war, wird in der Öffentlichkeit für ihre meinungsstarke Stimme geschätzt. Für Erich Keller, den Rektor der Hochschule, ist sie eine „Expertin zum geldpolitischen Entscheidungsprozess der EZB, wie es nur wenige gibt“. Auch in Hachenburg will sie die wirtschaftliche Lage nicht schönreden.

Warum die Preise steigen

„Um zu verstehen, wo diese hohe Inflation herkommt“, sagt Schnabel vor rund 100 Studierenden und Lehrenden, lohne ein Blick zurück in das Jahr 2020, zurück zum Beginn der Pandemie. Die schnelle wirtschaftliche Erholung nach dem massiven Einbruch als Folge des ersten, weitreichenden Lockdowns sei durch weitere Wellen der Pandemie immer wieder unterbrochen worden. „Es kam zu einem zunehmenden Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage, nicht zuletzt aufgrund von Störungen in den globalen Lieferketten. Unternehmen kamen nicht mehr hinterher, Güter bereitzustellen.“ Infolge dieser Entwicklung stiegen die Preise. „Viele hat überrascht, dass diese Probleme viel langwieriger waren als ursprünglich gedacht.“

Nicht nur die EZB habe die Inflationsentwicklung in ihren Prognosen immer wieder unterschätzt, sagt Schnabel in ihrem Vortrag. Und der Krieg in der Ukraine habe viele der wirtschaftlichen Probleme, die es schon vorher gab, weiter verschärft. „Der Euroraum ist wegen seiner Abhängigkeit von russischen Energieimporten nun besonders betroffen“, so Schnabel. Die Schwäche des Euro im Vergleich zum US-Dollar erschwere die Situation zusätzlich. Doch längst steige der Inflationsdruck nicht mehr allein durch gestiegene Energiepreise. Dass die Kurven, die die Preissteigerung darstellen, auch dann noch stark anstiegen, wenn man die Kosten für Energie und Lebensmittel herausnehmen würde, „ist besonders beunruhigend“.

Zinserwartung der Finanzmärkte steigt

Den bekannten Vorwürfen an die EZB, dieser Entwicklung nicht konsequent genug entgegenzutreten, widerspricht Schnabel dennoch. „Die Finanzmarktdaten zeigen sehr eindrucksvoll, dass das nicht stimmt“, sagt sie. So sei die Zinserwartung der Finanzmärkte zuletzt stark gestiegen, auch deshalb, weil die EZB nicht untätig sei. Bereits im vergangenen Dezember habe man angekündigt, die Netto-Anleihekäufe in dem Pandemie-Programm PEPP zu beenden. Einige Monate später habe man das auch für das Anleihekaufprogramm APP getan. „Im Juli wurde dann die erste Zinserhöhung seit elf Jahren beschlossen.“ Als Folge würden die Märkte langfristig davon ausgehen, dass die Inflation wieder in Richtung der anvisierten zwei Prozent sinken werde. Das Risiko einer Entankerung der Inflationserwartungen müsse man jedoch genau beobachten.

Kurzfristig hingegen blieben die Prognosen eher eingetrübt, auch für das Wirtschaftswachstum. „Der Ausblick für den kommenden Winter ist vor allem in Deutschland eher düster“, sagt Schnabel. Doch zumindest gebe es einige Faktoren, die die Konjunktur stützten. Der Arbeitsmarkt hat sich überraschend gut entwickelt, die Arbeitslosenquoten befinden sich auf einem historischen Tiefstand. „Es gibt einen Arbeitskräftemangel über alle Qualifikationsstufen hinweg.“ 

Schwierige Aufgabe für die Geldpolitik

Auch die aufgestaute Nachfrage nach mehr als zwei Jahren Pandemie, etwa nach Reisen, führe dazu, dass sich bestimmte Wirtschaftszweige, vor allem im Dienstleistungsgewerbe, positiv entwickelten. Die Fiskalpolitik sei der dritte stützende Faktor. „Für die Geldpolitik bleibt es im derzeitigen Umfeld eine besonders schwierige Aufgabe, für Preisstabilität zu sorgen“, sagt Schnabel. „Wir werden alles tun, was in unseren Möglichkeiten liegt.“ Und die erscheinen angesichts bereits erwarteter weiterer Zinserhöhungen noch lange nicht erschöpft.