„Ein politischer Mindestlohn ist nicht mit dem Grundgesetz vereinbar“ Im Interview nach seinem Vortrag in der Hochschule der Deutschen Bundesbank äußert sich Lars Feld, Direktor des Walter Eucken Instituts und Berater von Bundesfinanzminister Lindner, unter anderem zur demografischen Entwicklung, zur Schuldenbremse – und zu den Chancen eines Klimaclubs.

Das Gespräch führte Matthias Endres.

Herr Professor Feld, Sie selbst sind Mitglied in der Mindestlohnkommission. Arbeitsminister Heil fordert nun einen Mindestlohn von 15 Euro. Was halten Sie davon?

Zunächst: Die Gesetzeslage ist hier eindeutig. Die Entwicklung des Mindestlohns hängt von der Lohnentwicklung ab, sprich vom Lohnindex des Statistischen Bundesamtes. Da gibt es zwar Spielräume, aber demnach dürfte der gesetzliche Mindestlohn nächstes Jahr nicht auf 15 Euro steigen.

Aber Herr Heil beruft sich doch auf eine Vorgabe der EU-Kommission, wonach der Mindestlohn mindestens 60% des Durchschnittslohns betragen solle.

Das ist eine Empfehlung der EU-Kommission. Denn die EU hat in der Arbeitsmarktpolitik gar nicht die Kompetenz, bindende Regeln vorzugeben.

Wenn der Arbeitsminister meint, er wüsste selbst am besten, wie hoch der Mindestlohn ausfallen soll, dann ist die Mindestlohnkommission überflüssig. Das wäre meiner Meinung nach aber nicht mit der Tarifautonomie des Grundgesetzes vereinbar. Und mit der politischen Lohnfestsetzung hat man ja bereits in der Weimarer Zeit schlechte Erfahrungen gemacht, wenn ich da an die Brüning’sche Politik erinnern darf.

Die demografische Lage verschlechtert sich zusehends. Wäre ein nach hinten flexibleres Renteneintrittsalter ein Lösungsansatz?

Aktuell versucht ja die Bundesregierung, Anreize zu setzen, um ein späteres Renteneintrittsalter ermöglichen. Allerdings werden solche Anreize die demografische Lage nicht entscheidend verändern.

Was wäre denn erforderlich?

Aus meiner Sicht ist ab 2030 ein Renteneintrittsalter notwendig, das über die aktuell gültige 67er-Grenze hinausgeht. Andernfalls ist eine Schieflage im Rentensystem unvermeidbar.

Dabei kann man das Renteneintrittsalter durchaus an die fernere Lebenserwartung anpassen, wie das ja in einigen skandinavischen Ländern bereits der Fall ist.

Sie sagten in ihrem Vortrag in Hachenburg, das demografische Problem kann durch die Migration allein nicht gelöst werden. Wie lange wird die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt dauern, so dass sie die Abgänge der Babyboomer annähernd ausgleichen können?

Ich bin positiv überrascht, wie schnell die Geflüchteten, die 2015 und 2016 ankamen, in den Arbeitsmarkt integriert wurden. Das hängt natürlich auch davon ab, wie hoch bei Zuwanderungen von Familien etwa die Erwerbsbeteiligung von Frauen ist oder wie hoch die Sprachbarriere ist.

Unabhängig davon erschwert die starke Regulierung am Arbeitsmarkt die Integration von ausländischen Arbeitskräften stärker als in anderen Ländern – von der Anerkennung anderer Abschlüsse bis hin zu den Regelungen für Zeitarbeitsfirmen.

Die Schuldenbremse ist schwer in der Kritik. Wo sehen Sie Spielräume zur Anpassung, was halten Sie von den Vorschlägen, die die Bundesbank in einem Monatsbericht geäußert hat?

Zunächst: Die Schuldenbremse hat neben der langanhaltenden Niedrigzinsphase dazu beigetragen, dass der Schuldenstand in Deutschland in Relation zum Bruttoinlandsprodukt von 2009 bis 2019 deutlich gesunken ist. Die Schuldenbremse hat also gewirkt.

Einigen Vorschlägen, etwa von der Deutschen Bundesbank, stehe ich kritisch gegenüber, insbesondere wenn sie mit einer Änderung des Grundgesetzes verbunden sind. Ich sehe hier die große Gefahr, dass dann die Büchse der Pandora geöffnet wird und die Schuldenbremse insgesamt stark verwässert wird. Daher sollten sich die Änderungen an der Schuldenbremse im einfachgesetzlichen Rahmen bewegen. Gerade in der aktuellen politischen Lage halte ich es für unklug, das Grundgesetz ändern zu wollen.

Welche Änderungen an der Schuldenbremse würden Sie vornehmen?

Man sollte die Komponente zur Konjunkturbereinigung korrigieren, was ja übrigens schon im Nachtragshaushalt 2024 passiert. Auch die Tilgungsverpflichtungen sollten in stärkerem Maße von der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts abhängen. Diesen Vorschlag habe ich bereits 2021 unterbreitet, der Bundesfinanzminister hat ihn vor kurzem selbst ins Spiel gebracht.

Aber: Alle Veränderungen, die Hand an das Grundgesetz anlegen, lehne ich ab, insbesondere die immer wieder zu hörenden Forderungen nach höheren Spielräumen beim Defizit oder einer Rückkehr zur goldenen Regel.

Mario Draghi plädiert in einem Auftragspapier für die EU-Kommission für die (Neu-)Auflage von EuroBonds a’la dem Fonds „Next Generation EU“. Was halten Sie davon?

In dem Draghi-Bericht werden viele Probleme der EU aufgegriffen, und er enthält eine Reihe von sinnvollen Vorschlägen. Ich denke da zum Beispiel an den gezielten Abbau von Regulierungen am Arbeitsmarkt oder an die Abkehr vom Verbrennerverbot.

Aber Mario Draghi plädiert in seinem Papier auch für industrielle Subventionsprogramme, die meines Erachtens nicht zielführend sind. Mit solchen Programmen wird man nicht wettbewerbsfähiger, was sich in der Vergangenheit immer wieder gezeigt hat.

Und zu einer möglichen Neuauflage des Fonds „NextGenerationEU“ möchte ich deutlich machen, dass das Bundesverfassungsgericht diesen Fonds nur aufgrund seiner Einmaligkeit zugelassen hat. Also: Die Bundesregierung kann solchen Ideen schon allein deshalb nicht zustimmen, weil sie dann gegen das Verfassungsrecht verstoßen würde.

Warum glauben Sie an den Erfolg eines Klimaclubs, um die Zeitenwende beim Klimawandel zu erreichen?

Wenn sich ein Klimaclub mit den USA, China und der EU zusammenschließen und dort Mindestpreise für Co2-Emissionen beschließen würde, hätte das meines Erachtens eine Strahlkraft und eine relativ große Bindungswirkung.

Warum sind Sie davon so überzeugt?

Wenn sich die drei großen Player einig wären, würden sich Staaten wie Australien oder Japan oder auch das aufkommende Indien anschließen und weniger entwickelte Länder erst recht. Das hat man gesehen, als der Bundeskanzler den Klimaclub 2022 beim G7-Treffen aufs Tableau hat.

Es wird immer wieder behauptet, solch ein Klub sei unrealistisch.

Diese These teile ich nicht wirklich. So haben beispielsweise in den USA die einzelnen Bundesstaaten die Hoheit über ihre CO2-Emssionen – aber es gibt beispielsweise Vereinbarungen hier zwischen der kanadischen Provinz Quebec und Kalifornien.

Umgekehrt hat die US-Delegation 2023 die Initiative ergriffen, um mit der EU den Methan-Ausstoß bis 2030 um mindestens 30 Prozent im Vergleich zu 2020 zu reduzieren. Das kann sie, weil die US-Administration hier selbst die Hoheit hat und die Kompetenz nicht bei den Bundesstaaten liegt. Sie sehen also: Da gibt es durchaus Bewegung. Natürlich ist auch klar, dass die Entwicklung vom Ausgang der anstehenden Präsidentschaftswahlen abhängt.

In China ist selbst zwar momentan die Bereitschaft nicht sehr hoch, viel zu tun, was auch an den aktuellen Problemen der chinesischen Volkswirtschaft liegt. Aber: Die drittgrößte Gletscherschmelze weltweit ist im Himalaya – das Wasser-Reservoir für China. Zudem liegen die Wirtschaftsmetropolen Chinas nah am Meer und diese dürften dann bei steigenden Meeresspiegeln künftig stärker bedroht sein. China hat somit selbst handfeste eigene Interessen, bei der Bewältigung des Klimawandels seinen Beitrag zu leisten.